Das Arbeitsrecht ist ein Rechtsgebiet, das stetigen Entwicklungen unterliegt. Die wichtigsten aktuellen Entwicklungen werden Ihnen hier kompakt zusammengefasst.
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Katharina Riedl
Rechtsanwältin und Expertin für Arbeitsrecht und Verkehrsrecht
BAG: Pflicht zur Arbeitszeiterfassung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Entscheidung des EuGH bestätigt, nach der Arbeitgeber verpflichtet sind, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die täglich geleistete Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers festgehalten werden kann (BAG 1 ABR 22/21).
Nach Ansicht des BAG besteht die Arbeitszeiterfassungspflicht für die Arbeitgeber bereits jetzt. Hierfür genügt es nicht, nur ein für die Arbeitszeiterfassung geeignetes System zur Verfügung zu stellen, es ist vielmehr zusätzlich sicherzustellen, dass von diesem auch Gebrauch gemacht wird. Eine elektronischeArbeitszeiterfassung ist jedoch nicht zwingend notwendig. Die tatsächliche Aufzeichnung kann also grundsätzlich auch handschriftlich von den Beschäftigten erbracht werden.
Ausnahme: Für leitende Angestellte gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nicht!
Bei der Auswahl des Arbeitszeiterfassungssystems sind die konkreten Umstände des einzelnen Tätigkeitsbereichs, die Größe des Unternehmens sowie dessen Besonderheiten zu berücksichtigen.
Verstöße gegen die Arbeitszeiterfassungspflicht stellen noch keine bußgeldbewehrten Ordnungswidrigkeiten dar, da es hier bislang an einer entsprechenden Regelung fehlt. Sicherlich ist aber ein zeitnahes Tätigwerden der zuständigen Stellen zu erwarten, wodurch Verstöße in naher Zukunft verfolgt werden können.
Arbeitgeber kann Arbeitnehmer ins Ausland versetzen
Der Arbeitgeber kann aufgrund seines vertragsimmanenten Direktionsrechts den Arbeitnehmer anweisen, seine Arbeit an einem ausländischen Standort des Unternehmens zu leisten, wenn im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich oder konkludent etwas anderes vereinbart worden ist (BAG 5 AZR 336/21).
Das sogenannte „Weisungsrecht“ des Arbeitgebers, das sich aus §106 GewO ergibt, beschränkt sich nicht auf das Inland. Die einzelne Anweisung muss allerdings anhand des konkreten Arbeitsvertrags und einer Abwägung der Interessen im Einzelfall überprüft werden. Eine pauschale Rechtmäßigkeit einer solchen Arbeitgeber-Weisung spricht das BAG also nicht aus.
Berücksichtigung der Rentennähe bei Kündigung
Die betriebsbedingte Kündigung ist eine der häufigsten Maßnahmen, die Arbeitgeber in der Krise ergreifen müssen. Zu den in diesem Zusammenhang erforderlichen Voraussetzungen urteilte das BAG kürzlich (BAG 6 AZR 31/2). Eine betriebsbedingte Kündigung liegt immer dann vor, wenn der Arbeitnehmer nicht aufgrund seines Verhaltens oder eines in seiner Person liegenden Grundes, sondern aufgrund zwingender wirtschaftlicher Umstände entlassen wird.
Die Auswahl der betroffenen Person muss grundsätzlich anhand der in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO genannten sozialen Auswahlkriterien erfolgen. Solche sind beispielsweise die Betriebszugehörigkeit, etwaige Unterhaltspflichten sowie eine etwaige Schwerbehinderung des Arbeitnehmers und das Lebensalter. Durch die gesetzlichen Auswahlkriterien soll sichergestellt werden, dass dem Beschäftigten gekündigt wird, der sozial am wenigsten schutzbedürftig ist.
Bei der Gewichtung des Lebensalters in der Auswahlentscheidung kann hierbei nunmehr nach der aktuellen Entscheidung des BAG auch zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, dass er bereits eine (vorgezogene) Rente bezieht oder zeitnah beziehen kann. Lediglich eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen darf hierbei keine Berücksichtigung finden.
Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Zum 01.01.2023 wurde verpflichtend die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingeführt.
Zur Vergütung von Leiharbeitnehmern
Ein Tarifvertrag, der für Leiharbeitnehmer eine geringere Vergütung als für unmittelbar angestellte Arbeitnehmer festlegt, muss Ausgleichsvorteile vorsehen (vgl. EuGH C-311/21)
Ständig im Dienst?
Laut Urteil des LAG Schleswig-Holstein (Urt. v. 27.09.2022, Az. 1 Sa 39 öD/22) muss ein Arbeitnehmer in der Freizeit keine dienstlichen Nachrichten (SMS, WhatsApp, E-Mails) lesen. Wird ein Arbeitnehmer außerhalb der regulären Arbeitszeit auf elektronischem Wege über Dienstplanänderungen informiert, darf nicht erwartet werden, dass der Arbeitnehmer die Nachricht (rechtzeitig) liest.
In dem Fall vor dem LAG ging es um kurzfristige Dienstplanänderungen für einen Notfallsanitäter. Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob der Notfallsanitäter in seiner Freizeit auf eine kurzfristige Dienstplanänderung für den Folgetag reagieren musste. Er war in zwei Fällen telefonisch und per SMS und in einem Fall auch per E-Mail nicht zu erreichen gewesen und meldete sich jeweils wie ursprünglich geplant zu seinen Diensten. Der Arbeitgeber stufte das Verhalten seines Angestellten als unentschuldigtes Fehlen ein und erteilte ihm zunächst eine Ermahnung und dann eine Abmahnung.
In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht unterlag der Arbeitnehmer zunächst. In der zweiten Instanz entschied das LAG nun allerdings zugunsten des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber musste nach Angaben des LAG damit rechnen, dass der Notfallsanitäter die SMS erst mit Beginn seines Dienstes zur Kenntnis nahm. Zu diesem Zeitpunkt sei der Sanitäter verpflichtet, seiner Arbeit nachzugehen und dazu gehöre auch, die in seiner Freizeit bei ihm eingegangenen dienstlichen Nachrichten des Arbeitgebers zu lesen.
Es habe auch kein treuwidriges Verhalten des Arbeitnehmers vorgelegen, urteilte das LAG. Das Recht auf Nichterreichbarkeit diene neben dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers dem Persönlichkeitsschutz. „Es gehört zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht„, so das LAG.